B2B-Revolution und Medizin 4.0 gehen Hand in Hand

Während 40 Prozent der deutschen Krankenhäuser rote Zahlen schreiben, werden auch die Rahmenbedingungen immer enger. Die Lösungswege zeigen in eine klare Richtung: B2B, Outsourcing und Digitalisierung – kurz: Medizin 4.0.

Berlin, Dezember 2016

Die Zeichen stehen auf B2B

Personalmangel, Kostendruck und neue Qualitätsvorgaben zwingen Kliniken, ihre Prozesse zu reorganisieren.

Business-to-Business-Modelle (B2B) werden dabei wegweisend sein, meinten Experten auf dem Beschaffungskongress 2016 in Berlin

Während 40 Prozent der deutschen Krankenhäuser mittlerweile rote Zahlen schreiben, werden die Rahmenbedingungen immer enger: Da werden Fallpauschalen (DRGs) durch die Absenkung des Sachkostenanteils gekürzt, da ist das Krankenhausstrukturgesetz mit seinen gestiegenen Qualitätsanforderungen, da ist die neue Medizinproduktebetreiberverordnung, die eine aufwändige Umrüstung der Sterilisationsvorgänge erforderlich macht, und last but not least ist da noch ein besorgniserregender Fachkräftemangel. Viel Holz für die 2.000 Krankenhäuser, die außerdem auf einem Investitionsstau in Höhe von rund 30 Milliarden Euro sitzen, und von denen wohl eine relevante Zahl demnächst schließen wird.

All das kam beim 8. Beschaffungskongress am 8. und 9. Dezember in Berlin zur Sprache. Aber statt zu jammern, wurden gangbare Lösungswege aufgezeigt, die - fasst man sie zusammen - in eine klare Richtung zeigen: in Richtung Outsourcing und Digitalisierung.

Charité holt sich neue Dienstleiter in den OP

Gut nachvollziehbar ist dieser Trend im OP-Bereich. In dem Hochkostentrakt werden immerhin 30 Prozent aller Erlöse eines Krankenhauses generiert, weshalb ein effizienter OP-Betrieb als mit die wichtigste Stellschraube für den wirtschaftlichen Erfolg eines Hauses gilt. Die Charité hat deshalb ihr zentrales OP-Management direkt der Geschäftsleitung unterstellt und mit digitaler Unterstützung die Prozesse weitgehend standardisiert. Heute sei man mit dem Konzept auf einem guten Weg zur Medizin 4.0, erklärte der Leiter des OP-Managements der Charité Matthias Diemer. "Alles was wir machen, muss steuerbar, transparent und messbar sein", sagte er. "Diese Transparenz gibt uns die Möglichkeit zur Reflektion, etwa wenn es erhebliche Abweichungen von der durchschnittlichen Schnitt-Naht-Zeit gibt."

Unabdingbar für ein effizientes OP-Management sind nach Ansicht des Mediziners die Standardisierung der Prozesse und der Logistik sowie klar definierte Zuständigkeiten. Eine OP-Schwester sei wegen ihres hohen Spezialisierungsgrades nicht austauschbar, jedoch könne man einige Aufgaben an Dritte delegieren, erklärte er mit Blick auf den Fachkräftemangel. "Es muss ja nicht alles selber gemacht werden, sondern wir haben die Möglichkeit, bestimmte Verantwortungsbereiche an neue Dienstleister zu übertragen." Als Beispiel nannte er standardisierte Siebe und das vorgepackte Fallwagenkonzept. "Wenn man das gut koordiniert, können enorme Synergieeffekte entstehen", betonte Diemer.

Kaum eine Klinik für neue Medizinprodukteverordnung gerüstet

Dieser Punkt ist insbesondere vor der neuen Medizinproduktebetreiberverordnung interessant. Nach der EU-weiten Verordnung müssen wiederverwendbare Medizinprodukte der Klassen 2 und 3 künftig eindeutig gekennzeichnet werden. Die Aufbringung einer solchen Unique Device Identification (UDI) bei Mehrweginstrumenten obliegt zwar dem Hersteller, sie muss jedoch von den Sterilisationsabteilungen der Kliniken gelesen und nachverfolgt werden können. Durch das digitalisierte Tracking lässt sich dann sehr leicht eine korrekte oder nicht korrekte Aufbereitung erkennen. Dies sei ein wichtiger Schritt für mehr Transparenz und Patientensicherheit, meinte Hygieneexperte Klaus-Dieter Zastrow von den Vivantes Kliniken Berlin. Allerdings werde die Verschärfung der Dokumentation und Überwachung für die Kliniken zu einer echten Herausforderung. "Die Mehrzahl der deutschen Krankenhäuser ist dazu momentan gar nicht in der Lage", sagte er.

Drei Jahre haben die Krankenhäuser Zeit, die neue Verordnung umzusetzen. Die Umrüstung werde teuer und personalintensiv, prophezeiten Experten auf dem Beschaffungskongress. Zudem würden die Häuser künftig stärker haftungsrechtlich in die Pflicht genommen, betonte der Medizinrechtler Andreas Haak von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei Taylor Wessing. Dies gelte natürlich auch für die Aufbereitung jener Produkte, denen keine sachgerechte Reinigungsanleitung beiliege. Letzteres ist offenbar ein zunehmendes Problem. Oft seien Anleitungen nicht ausreichend spezifiziert, um ein Produkt risikofrei wieder in den Verkehr zu bringen, kritisierte Hygieniker Zastrow. Sinnvoll sei es deshalb, diese Aufgabe an spezialisierte Betriebe outzusourcen, auch aus haftungsrechtlichen Gründen. "Ich bin sehr gespannt, wie sich die Kliniken entscheiden werden", so Zastrow.

Robert Schrödel, Vorstandsvorsitzender der Pioneer Medical Devices AG, glaubt indes, dass künftig mehr Kliniken ihre Verantwortung nach außen verlagern werden. Um etwa die neuesten laparoskopischen Instrumente mit immer kleineren Lumen keimfrei zu bekommen, brauche es Spezialmaschinen für mehrere Millionen Euro. "Ich kenne keine einzige Klinik, die so eine Maschine hat", sagte er. Seiner Ansicht nach wird es vor allem bei schwer zur reinigenden Produkten wie Endoskopen zu einer größeren Arbeitsteilung und neuen Angebotsformen kommen, etwa Pay-per-use-Modellen. "Wir sehen das daran, dass uns in diesem Bereich immer mehr Anfragen erreichen", meinte Schrödel, "weil sich die Kliniken erstens den gestiegen Anforderungen nicht gewachsen sehen und sich zweitens solche Modelle auch wirtschaftlich rechnen."

"Brauchen mehr Complicance bei der Händehygiene"

Doch nicht nur die neue Medizinproduktebetreiberverordnung, auch das vor einem Jahr in Kraft getretene Krankenhausstrukturgesetz stellt Kliniken vor wachsende Herausforderungen. Beispielsweise werden Hygienefachkräfte gefordert, die aber dem Markt de facto gar nicht zur Verfügung stehen. Experten beziffern das Defizit auf 80 Prozent. Besonders brisant dürfte der Personalmangel werden, wenn es bald zu den gefürchteten Qualitätsabschlägen kommen wird. In Fachkreisen gilt es als gesichert, dass das Qualitätsinstitut IQTIG hier unter anderem die Zahl der nosokomialen Infektionen als Bewertungsmaßstab heranziehen wird. Ob man mit finanziellen Abstrichen allerdings das Ziel erreicht, die Zahl der jährlich 600.000 Krankenhausinfektionen tatsächlich zu senken, ist längst nicht ausgemacht. Neben zu wenig Personal gilt vor allem die mangelnde Händedesinfektion als wichtigste Einflussgröße. Studien zufolge beträgt die Compliance bei der Händehygiene im Krankenhaus lediglich 40 Prozent. "Wir brauchen ein neues Hygienebewusstsein", forderte Klaus-Dieter Zastrow. Ärzten und Pflege müsse klar gemacht werden, dass die Händedesinfektion Teil der medizinischen Prozedur sei. Selbst langjährigen Chefärzten sei dies nicht immer klar.

Vor diesem Hintergrund regte der Gesundheitsökonom Prof. Wilfried von Eiff vom Centrum für Krankenhaus-Management am Universitätsklinikum Münster an, neue Forschungsschwerpunkte im Bereich der Hygiene zu setzen. Konkret wandte er sich an den Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Lutz Stroppe, der auch im Ausschuss des Innovationsfonds sitzt. "Warum fördern Sie mit dem Innovationsfonds nicht mal neue technologisch basierte Logistik- und Hygienekonzepte, die zum Beispiel das Potenzial haben, die Compliance zu verbessern?", fragte er. Stroppe versprach, diesen Vorschlag in der nächsten Ausschussrunde einzubringen. "Das habe ich notiert", erklärte der CDU-Politiker verbindlich.

B2B-Revolution und Medizin 4.0 gehen Hand in Hand

Solche Modellprojekte können auch deshalb wichtig sein, um gute von schlechten Innovationen zu unterscheiden. Laut von Eiff werden Produktneuheiten oft als Innovationen verkauft, obwohl ihr (Zusatz-) Nutzen fraglich sei. Dabei seien Hersteller besser beraten, auf Fairness zu setzen. Denn es sei, so von Eiff, auf dem Krankenhausmarkt eine B2B-Revolution ausgebrochen, deren Ausmaß noch gar nicht ganz verstanden sei. "Diese Revolution bedeutet, dass wir zunehmend Abstand vom Handelsmodell nehmen und stattdessen zu einem Vernetzungsmodell kommen, dass den Kunden nicht vom Hersteller entkoppelt, sondern im Gegenteil, beide weiter zusammenbindet." Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit einer Klinik werde außerdem sein, ob es gelinge, personalisierte Versorgung mit Medizin 4.0 zu verbinden. Von Eiff nannte in diesem Zusammenhang die individuelle Knieprothese aus dem 3D-Drucker, doch auch die elektronische Patientenakte und fallspezifische Logistikkonzepte gehören zu der digitalen Vernetzung.

Firmenchef Robert Schrödel kann sich über diese Entwicklung nur freuen. Immer mehr Krankenhäuser interessieren sich auf einmal für sein Kerngeschäft, nämlich Technologiepartnerschaften im Bereich der OP-Logistik, des Medizinproduktemanagements einschließlich validierter Aufbereitung. Ob man es nun Outsourcing, B2B oder Systempartnerschaften nennt, Medizin 4.0 geht nicht ohne Partner, ist Schrödel überzeugt. "Eine Klinik allein kann diese Investitionen nicht stemmen, jedenfalls dann nicht, wenn sie wirtschaftlich arbeiten will."

(ots)